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Hypertexte

Hypertexte lassen sich aufgrund ihrer vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten als assoziative Mechanismen betrachten (siehe Jonassen, 1993). Üblicherweise wird Hypertext durch die Nicht-Linearität in den Texten definiert, Whalley (1993) betont hingegen eher deren Fragmentiertheit sowie deren Formbarkeit (malleability). Es ist wichtig, zwischen solchen Texten bzw. Textteilen zu unterscheiden, die eine lineare Struktur aufweisen, und solchen, deren Aufbau eher nicht-linear ist. Auch konventionelle Texte können Nicht-Linearitäten enthalten, wenn sich verschiedene Elemente des Textes aufeinander beziehen. Bei Hypertexten ist es allerdings zwingend notwendig, die Textrepräsentation auf Abschnitte zu beschränken.

Seltzer (1998) betrachtet den Menschen als einen informationssuchenden Organismus: Wie bei anderen Organismen auch besteht ein Drang (Trieb) zur Verarbeitung sensorischer Informationen, der dazu führt, daß exploratives Verhalten ausgeführt wird. Dieses kann Überlebensvorteile bieten (wenn beispielsweise Fluchtmöglichkeiten erkundet werden). Andererseits führen reizarme Umwelten dazu, daß sowohl Lernen als auch die Entwicklung des ZNS behindert werden. Das Internet ist dagegen eine unerschöpfliche Quelle von Information: Browsing befriedigt das Bedürfnis nach Infomationsaufnahme und bewirkt außerdem Lernen.

Eine implizite Annahme beim Erstellen von Hypertexten ist, daß sich größere Texte in ``self-contained'' Abschnitte zerlegen lassen, die unabhängig voneinander gelesen und interpretiert werden können. Auch die Absätze, aus denen sich natürliche Texte zusammensetzen, können als Einheiten betrachtet werden, die einen Diskurs bilden, und die sich dadurch aufeinander beziehen. Sie sollten deshalb nicht isoliert betrachtet werden (cf. Whalley, 1993). Durch die Fragmentierung von Hypertexten wird es für den Leser schwieriger, einer bestimmten Argumentationsstruktur des Autors zu folgen.

Wichtig für den Einsatz von Hypertexten ist nach Whalley (1993) die Unterscheidung verschiedener Textarten: Einerseits kann ein Text nur als eine Datenbank betrachtet werden, aus der der Leser die für ihn relevante Information heraussucht; andererseits kann man einen Text aber auch als Konfiguration von Ideen betrachten, wenn dem Leser vom Autor eine bestimmte Argumentationsstruktur vorgegeben wird. Bei Hypertexten läßt sich vom Autor ein gewisser Einfluß ausüben, indem nicht alles mit allem verbunden wird, sondern auf einen selektiven Einsatz von Verknüpfungen Wert gelegt wird.

Das wichtigste pädagogische Merkmal eines Hypertextes ist dessen Anpassbarkeit: Er kann sich über die Zeit hinweg verändern und er kann benutzerspezifische Betrachtungsweisen (bzw. Ansichten) der Informationsmenge ermöglichen.

Vom Lernen aus Hypertexten profitieren vor allem die begabteren Lernenden, die dieses Medium auch eher akzeptieren. Beim Lesen inhaltlich anspruchsvoller Texte muß oft zwischen verschiedenen Einheiten hin- und hergesprungen werden (was auch in linearen Texten durch geeignete Hinweisreize ermöglicht wird). Bei Browsing in Hypertexten ist es kaum möglich, einer vom Autor vorgegebenen Entwicklung eines Themas zu folgen, so daß diese Interaktionsform zum Erwerb eines tieferen Verständnisses weniger geeignet ist. Auch in Hypertexten sollte deshalb eine Möglichkeit vorgesehen sein, vom Autor vorgegebenen Argumentationslinien zu folgen (z.B. durch Guided Tours).

Visuelle Informationsverarbeitung

Marks und Dulaney (1998) untersuchen die Bedeutung visueller Informationsverarbeitung für Interaktionen mit der Umwelt im Allgemeinen und für Interaktionen im WWW im Besonderen. Neben der Unterscheidung zwischen distalen und proximalen Reizen teilen sie die Wahrnehmungsprozesse in datengesteuerte (bottom up) und konzeptgeleitete (top down) Prozesse ein: Meist wirkt sich auch das Vorwissen des Betrachters bzw. dessen konzeptueller Rahmen auf die Wahrnehmung aus, außerdem werden situations- bzw. kontextabhängige Constraints berücksichtigt.

Die Sehschärfe läßt zur Netzhautperipherie hin kontinuierlich nach und sie verringert sich auch bei schwächerer Beleuchtung sowie mit zunehmendem Alter. Ein weiterer Faktor ist der crowding effect, der sich darin zeigt, daß beim Lesen von Buchstaben, die sehr eng beieinander liegen, Schwierigkeiten auftreten; kleinere Buchstaben, die dafür nicht so eng beieinander liegen, können hingegen schneller gelesen werden. Auch die räumliche Frequenz, die Orientierung, der Kontrast und die räumliche Phase (wie weit vom Anfang weg) wirken sich auf die Wahrnehmung aus. Niedrige räumliche Frequenzen (Umrisse) dienen vor allem der Objekterkennung.

Raumwahrnehmung kann durch die binokulare Disparität, die Akkomodation und die Vergenz der Augen sowie durch monokulare Tiefenkriterien (Verdeckungen, Fluchtpunkte, Bewegungsparallaxe, Texturgradienten, Unschärfe usw.) vermittelt werden. Der gezielte Einsatz solcher Tiefenkriterien kann das Navigieren in Hypertexten erleichtern.

Durch die verschiedenen Prinzipien der guten Gestalt läßt sich nach Marks und Dulaney (1998) auch die Zusammengehörigkeit verschiedener Objekte veranschaulichen:

Diese Prinzipien lassen sich ebenfalls für die Darstellung von zusammengehöriger Information nutzen. Marks und Dulaney (1998) betonen auch, daß bei der Wahrnehmung von visuellen Displays zuerst globale Aspekte verarbeitet werden, bevor lokale Einzelheiten untersucht werden. Deshalb sollte besonders relevante Information so präsentiert werden, daß sie auch bei globaler Betrachtung sofort ins Auge fällt.

Beim Erkennen von Mustern müssen wahrgenommene Muster als Instanzen von gespeicherten Kategorien erkannt werden. Marks und Dulaney (1998) schildern in diesem Zusammenhang die Theorie von Biederman, die davon ausgeht, daß bei der Wahrnehmung von Gegenständen zuerst eine Repräsentation mittlerer Abstraktion aktiviert wird (z.B. Stuhl und nicht Möbel oder Gartenstuhl). Dazu werden alle räumlichen Objekte in 24 geometrische Primitive (geons) zerlegt. Bei der Mustererkennung muß dann nur festgestellt werden, welche Geonen vorhanden sind (meist reichen bereits drei zur Beschreibung von Objekten aus).

Das Erkennen von Objekten wird durch geeignete Kontexte beschleunigt, in denen ein Objekt üblicherweise (d.h. mit einer hohen Wahrscheinlichkeit) auftritt. Semantisches und syntaktisches Priming kann in dieser Hinsicht als Kontext betrachtet werden. Solche Kontexteffekte lassen sich auch beim Erkennen von Wörtern nachweisen. Geeignete Gestaltung von grafischen Displays kann ebenfalls bewirken, daß ein (grafischer) Kontext gebildet wird.

Visuelle Informationssuche ist insbesondere im Zusammenhang mit Browsing in Hypertexten wichtig, da oft nach spezifischen Informationseinheiten gesucht wird. Am besten lassen sich Informationen finden, wenn selektive Aufmerksamkeit auf sie gerichtet wird, wenn sie sich vom Rest des Umfeldes deutlich unterscheiden und wenn wenige ablenkende (z.B. blinkende) irrelevante Information zu sehen ist. Dazu lassen sich nach Marks und Dulaney (1998) folgende Strategien einsetzen:

Human Factors und Hypertext

Woodhead (1991) versucht, verschiedene Aspekte der Forschung zur Mensch-Maschine-Interaktion auf Hypertexte anzuwenden. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die hohe Anpassungsfähigkeit von Hypertexten, die auch einen Einsatz beim rapid prototyping ermöglicht. Beim Entwurf von Hypertexten sind verschiedene (konzeptuelle) Modelle zu beachten:

Ein Ziel beim Design von Hypertexten ist, individuelle Unterschiede in der Performanz der Benutzer dadurch zu reduzieren, daß auch ungeübte Benutzer adäquat mit dem System interagieren können. Eine Möglichkeit zur Realisierung dieses Ziels besteht in der Implementierung geeigneter Benutzermodelle. Benutzer mit hohen räumlichen Fähigkeiten sind bei der Navigation anderen Benutzern überlegen.

Wichtige Punkte, die bei der Entwicklung eines Hypertextsystems berücksichtigt werden sollen und die die Performanz und die Strategien bei der Benutzung bestimmen, sind

Woodhead (1991) nennt in diesem Zusammenhang einige Untersuchungen, bei denen grafische Benutzerschnittstellen keine Vorteile bzw. sogar Nachteile gegenüber rein textuellen Repräsentationen aufwiesen.

Kognitive Landkarten repräsentieren Konzepte als Knoten, die durch (typisierte) kausale Verknüpfungen (links) verbunden sind. Dabei handelt es sich aber um schwache, eher quantitative Modelle, mit denen sich kaum qualitative Verhaltensdaten vorhersagen lassen. Nach Woodhead (1991) sind solche kognitiven Landkarten vor allem in drei Bereichen sinnvoll:

Alle drei Techniken lassen sich auch in Hypertexten einsetzen. Setzt man solche kognitiven Landkarten zur Strukturierung komplexer Entscheidungssituationen ein, werden (wahrgenommene) kausale Beziehungen meist linear angeordnet und es finden sich kaum unbestimmte Verknüpfungen. Ein gutes kognitives Modell, das in einem Hypertext implementiert ist, kann derartige kognitiven Täuschungen/Biases offenlegen.

Geeignete kognitive Landkarten können den Benutzer auch bei der Navigation im Text unterstützen. Dazu sollte der Benutzer zuerst die Grobstruktur des Textes kennenlernen (Landmarks), bevor davon abweichende Verbindungen erlernt werden. Hierzu ist eine Metapher hilfreich, die das (meist kausale) mentale Modell des Benutzers berücksichtigt. Bei der Implementierung von Tools muß beachtet werden, daß diese ebenfalls den Konzepten des Benutzers entsprechen und daher leicht zu bedienen sind. Außerdem muß der Benutzer von der Existenz derartiger Werkzeuge in Kenntnis gesetzt werden sowie gegebenenfalls die Möglichkeit haben, sie seinen speziellen Anforderungen anzupassen

Wissensstrukturen als Grundlage von Hypertexten

Jonassen (1993) schlägt vor, Hypertexte entsprechend den Strukturen des menschlichen Gedächtnisses zu organisieren. Im Idealfall kann dadurch die explizit gemachte Struktur des Wissens von Experten auch von Anfängern erlernt werden. Jonassen (1993) geht dabei von einem schemaorientierten Gedächtnismodell aus, nach dem Wissen in einzelnen Schemata gespeichert ist, die sich durch Attribute auszeichnen und die untereinander zu einem Netzwerk verbunden sind. Solche Schemata lassen sich durch Textknoten repräsentieren, die dazugehörigen Verbindungen durch Verknüpfungen.

Wenn Hypertexte den menschlichen assoziativen Netzwerken entsprechen sollen, dann sollte die Hypertext-Engine das semantische Netzwerk eines Experten widerspiegeln. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß beim Lernen die Wissensstrukturen des Lernenden durch Interaktion mit der Umwelt so verändert werden, daß sie den Wissensstrukturen des Lehrenden/Experten entsprechen. Deshalb sollte auch die Struktur des Expertenwissens die Struktur von Hypertexten bestimmen. Jonassen (1993) nennt folgende Methoden zur Erhebung des Expertenwissens:

Auf diese Weise erstellte semantische Landkarten könnten dann beispielsweise direkt als grafische Übersichten (bzw. Browser) für entsprechende Hypertexte verwendet werden, wodurch insbesondere strukturelles Wissen (Wissen über den Zusammenhang von Konzepten innerhalb einer Domäne) vermittelt werden sollte. In verschiedenen empirischen Untersuchungen, die von Jonassen (1993) dargestellt werden, läßt sich auch ein Erwerb von strukturellem Wissen (das über Fragebögen erhoben wird) nachweisen, wenn der Lernende die entsprechenden Hinweise auf die Struktur auch beachtet (z.B. weil er instruiert wird, später die Struktur aufzuzeichnen). Deren alleinige (grafische) Darstellung reicht hingegen nicht aus, möglicherweise, weil diese Art der Lernhilfe ganz neu ist und deren effiziente Benutzung erst erlernt werden muß. Durch die Darstellung der Struktur wird außerdem die Menge der dem Lernenden später verfügbaren Information verringert. Bei der Verwendung von Hypertexten zum Erwerb von Wissensstrukturen muß deshalb auf entsprechende (extern vorgegebene) Lernaufgaben geachtet werden.

Struktur im Gegenstandsbereich

Während Jonassen (1993) vorschlägt, die Wissensstrukturen von Experten auf Hypertextsysteme abzubilden, versucht Fisher (1994), Constraints aus dem Gegenstandsbereich, zu dem der Hypertext erstellt werden soll, für dessen Strukturierung heranzuziehen. Dazu geht er von der dem Hypertext zugrunde liegenden Informations-Datenbasis aus, die ein strukturelles Modell der Beziehungen zwischen den einzelnen Einheiten des Gegenstandbereichs enthält.

Im Idealfall soll die Struktur des Gegenstandsbereichs dem Benutzer deutlich werden, so daß dieser eine entsprechende mentale Repräsentation bilden kann. Dadurch läßt sich einerseits der Lernerwerb beim Benutzer beschleunigen, andererseits fällt dem Benutzer mit zunehmenden Erlernen der Struktur auch die Navigation im Hypertext leichter. Somit profitieren sowohl Laien als auch Experten von dieser Art der Strukturierung. Der Versuch der Übertragung der in der Welt enthaltenen Struktur eignet sich gut für Lehrtexte, die sich auf einen gut strukturierten Gegenstandsbereich beziehen. Fisher (1994) unterscheidet zwei Arten von Abhängigkeiten innerhalb des Gegenstandsbereichs:

procedural dependencies: Constraints, die sich aus der zu erledigenden Aufgabe ergeben, beispielsweise dadurch, daß bestimmte Schritte Voraussetzung für die Durchführung anderer Schritte sind. Eine tiefe Hierarchie kann solche Abhängigkeiten modellieren.

topical dependencies: Inhaltliche Abhängigkeiten, eher assoziativer Art, die zu einer flachen Hierarchie führen, wenn keine natürliche Hierarchie der Informationseinheiten gegeben ist. Diese lassen sich für den Autor relativ leicht in eine Hypertextbasis umwandeln, da wenig Strukturierung verlangt wird, andererseits sind aber für den Leser die Navigation und das Verständnis erschwert. Der Einsatz von Navigationshilfen wird von Fisher (1994) in diesem Zusammenhang besonders nahegelegt.

Dem Entwurf eines Hypertextsystems sollte eine entsprechende Analyse der zugrundeliegenden Information (und gegebenenfalls ein information partitioning) vorangehen, um das Hypertextdokument geeignet zu strukturieren, so daß der Leser ein entsprechendes mentales Modell bilden kann. Eine größere Übersichtlichkeit läßt sich durch Berücksichtigung eines Benutzerprofils erzielen (für den einzelnen Benutzer nicht relevante Information kann ganz ausgeblendet werden).

Es sollte jedoch nicht nur die Struktur des Gegenstandsbereiches berücksichtigt werden, sondern auch der Anwendungszweck des Hypertextes: Soll ein vertieftes Verständnis (mentales Modell) erzielt werden, kann die Struktur des Gegenstandsbereiches direkt zur Strukturierung des Hypertextes herangezogen werden. Wenn dagegen bestimmte Diagnosehilfen oder konkrete Problemlösungen die Hauptanwendung für den Hypertext darstellen, dann ist ein effizientes Finden von Informationen besonders wichtig. Dazu können verschiedene schnelle Zugriffsmöglichkeiten (Indexe, Inhaltsverzeichnisse, Kreuz-Referenzen usw.) implementiert werden.


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Last modified 10-29-98